Wachstumschancengesetz und Abfindungen (Fünftelungsregelung)

Zwangs-Darlehen für den Fiskus aufgrund Fachkräftemangel im BMF

Als Christian Linder letztes Jahr in seinem Ministerium Vorschläge zum Bürokratieabbau für das Wachstumschancengesetz eingefordert hat, muss er auch an der der Tür vom Lohnsteuerreferat geklopft haben. Den Beamten dort ist nichts besseres eingefallen, als die Fünftelungsregelung im Lohnsteuerabzug abzuschaffen. Fünftelung gibt es künftig nur noch bei der Jahre später fälligen Einkommensteuererklärung – bis dahin müssen Arbeitnehmer dem Staat künftig ein regelmäßig 6-stelliges Darlehen gewähren. Damit schafft man ganz sicher Wachstumschancen und baut Bürokratie ab.

Die Beamten im Lohnsteuerreferat des BMF haben damit einmal mehr bewiesen, dass Sie eher das Rechtsstaats-Bewusstsein von Reichsbürgern haben und an dieser bedeutsamen Stelle im Ministerium (zweithöchste Einnahmequelle des Staates) komplett ungeeignet sind. Archiv oder Poststelle, wären geeignetere Einsatzstellen. Sie haben außerdem bewiesen, dass ihnen auch jede noch so offensichtlichste Lüge gerade Recht ist, um ihre kranken Gesetze begründen zu können.

Es ist ein Skandal. Hier verlieren Arbeitnehmer ihren Job. Viele sind dadurch gerade auch finanziell in einer schwierigen Situation. Für viele, die Jahrzehnte im selben Unternehmen gearbeitet haben, bricht vielleicht gerade eine Welt zusammen – sie erleben ein traumatisches Ereignis und müssen sich beruflich neu erfinden.

D.h. Geld wird benötigt z.B. für Weiterbildungskosten, für freiwillige Renteneinzahlungen oder für die unternehmerische Existenzgründung. Und in dieser Situation hält der Fiskus die Hände auf und will von den Arbeitnehmern durch überhöhten Lohnsteuerabzug ein völlig unberechtigtes Darlehen. Und das alles nur, weil ein Reichsbürger im Bundesfinanzministerium keinen Bock mehr hatte, das Thema bei der Erstellung des jährlichen Programmablaufplans für die Ermittlung der Lohnsteuer zu berücksichtigen.

Die Partei

Von der SPD in der Ampel ist man gewohnt, dass sie ihr Wahlvolk verrät – das ist ihr in den letzten Jahren ja quasi zur DNA geworden. Aber auch die FDP ihrerseits hat bewiesen, dass sie – entgegen der Eigendarstellung – offenbar niemand in den eigenen Reihen hat, der von Steuerrecht oder bürokratischen Prozessen auch nur die leiseste Ahnung hat. Schließlich lässt man sich nicht nur ein bürokratisches Monster, sondern auch noch eine Steuererhöhung durch die Hintertür unterjubeln.

Wer Bürokratieabbau oder ein sachgerechtes Steuersystem möchte, der sollte um die FDP einen Bogen machen (fairerweise sieht es bei den anderen Parteien nicht besser aus – aber eben auch nicht schlimmer und wenn dieser – nur in der Eigendarstellung vorhandene „unique-selling-point“ unter der 5%-Hürde verschwunden wäre, dann wäre uns in den letzten Jahren immerhin dieser unglaublich enervierende Pseudo-Oppositionsschwachsinn erspart geblieben – denn auch für Christian L. gilt: you can´t eat the cake and have the cake).

Die FDP hätte den Schwachsinn der letzten Jahre rückgängig machen und zur Abwechslung den Wahlslogans auch mal Taten folgen lassen können. Bürokratieabbau und Abbau von völlig ungerechten Lohnsteuern, die nicht mehr aus echter Bereicherung entstehen, sondern aus irgendwelchen postfaktischen Fiktiv-Sachverhalten – scheint aber nicht ihr Ding zu sein, denn was macht der Christian? Lässt sich von seinen Ministeriellen jetzt eben auch noch bei der Fünftelungsregelung vor den Karren spannen. Vermutlich dachte er da grad wieder, er wäre in der Opposition und nicht zuständig – wäre zumindest eine Erklärung.

Foto: Bundesfinanzministerium (CC BY-ND-4.0)

Die Verbände / Die Arbeitgeber

Die Steuerexperten in den Verbänden, die zu diesem Gesetz Stellung genommen haben – bzw. zu diesem Punkt eher keine Stellung genommen haben, beweisen ebenfalls, dass ihnen die gesamt-unternehmerischen Perspektive fehlt. .

Die Länder / Die Lohnsteuerreferatsleiter

Und die Lohnsteuerreferatsleiter in den Landesfinanzministerien haben erneut bewiesen, dass sie das Bundesfinanzministerium mit jedem noch so hanebüchenen Dreck davon kommen lassen, egal wieviel Mehrarbeit er nachher in den Finanzämtern und Arbeitgebergestellen der Länder verursacht. Dann lasst uns doch so konsequent sein und den Föderalismus abschaffen.

Kurzum mit Blick in das BMF: „Hier wedelt ein ganz-ganz kleiner Schwanz, mit einem riesigen Hund.“ Insofern ist auch nicht auszuschließen, dass dort im BMF jemand nicht nur zu faul (oder zu wenig kompetent) für die Anpassung der Fünftelungsregelung im Programmablaufplan ist, sondern man sich mit dem ganzen Nichtwandungsgesetzen und der kompletten Zerstörung des Lohnsteuerrechts (bis hin zur vollständigen Unpraktikabilität) kurz vor der Pensionierung einfach nochmal ein Denkmal setzten will. Offensichtlich hat man sonst in 40 Dienstjahren nichts geleistet, auf das man stolz sein kann.

Lohnsteuer – jedes Jahr ein bisschen kaputter

Aber nochmal im Detail und der Reihe nach.

So ziemlich jedes vorteilhafte Urteil des Bundesfinanzhofs der letzten Jahre (also bevor man den BFH, wie aktuell auf Linie gebracht hatte) wurde vom BMF durch Nichtanwendungsgesetzte ins Leere laufen gelassen. Damit wurde das Massenverfahren „Lohnsteuerrecht“ mehr und mehr kaputt gemacht. Ein paar Beispiele gefällig?

Gutscheine

2021 hob man die klare und verständliche Definition, was ein Gutschein und damit Sachlohn ist, auf. Seitdem braucht es 11 Seiten BMF-Schreiben zum Verständnis. Bei jedem einzelne Gutschein müssen die AGB geprüft werden und das jährlich neu. Die Lohnoptimierungs-Buden, die ihr Geld mit der Ausnutzung der 50 EUR-Nichtaufgriffsgrenze verdienen, hatten sich schnell angepasst.

Was bleibt ist eine massive Arbeitsbelastung bei den Arbeitgebern und den Finanzämtern, die seitdem mit Anrufungsauskünften zugesch…. ähh… zugeschüttet werden. Die Reichsbürger im Ministerium haben zwar auch eine Liste der geprüften Gutscheine, die wollen sie aber nicht veröffentlichen. Vermutlich, weil sie der eigenen Rechtseinschätzung offenbar nicht genug über den Weg trauen. Aber ist ja auch eine schöne Beschäftigungsmaßnahme für die Lohnsteueraußenprüfer und das BMF interessiert – wie gesagt – nicht, ob das Lohnsteuerrecht noch massentauglich ist. Die Reichsbürger im BMF wollen es nur einfach nur Brennen sehen.

Zusätzlichkeit

70 Jahre war der Begriff der Zusätzlichkeit im Lohnsteuerrecht nicht wirklich strittig. Er wurde einfach negativ abgegrenzt. D.h. zusätzlich war es dann nicht, wenn es aus einer Entgeltumwandlung kam oder bestehender Ansprüche herabgesetzt wurden. Aber den Reichsbürgern im Ministerium war das nicht kompliziert gut genug. Im neuen § 8 Abs. 4 EStG gibt es jetzt 4 Bulletpoints, in die man alles und nichts hineininterpretieren kann.

Das Ergebnis: Sowohl zum Corona-Bonus, als auch zur Inflationsausgleichsprämie muss man jetzt umfangreiche FAQ auf den Seiten des BMF veröffentlichen. Und trotzdem scheitern die Tarifparteien im öffentlichen Dienst und vermurksen die Steuerfreiheit. Aber dann passt man halt die FAQ an und hebelt mittels dieser FAQ die eigene gesetzliche Regelung wieder aus. Typisch Reichsbürger eben, oder frei nach Hermann Göring: „Was zusätzlich ist, bestimme ich!“

Gesundheitsmaßnahmen

10 Seiten BMF-Schreiben, dass in sich komplett widersprüchlich ist und den gut gemeinten Willen des Gesetzgebers, komplett auf den Kopf stellt. Fitnessstudios rausnehmen okay – aber wer gewinnt bei der Differenzierung, ob irgendein Laufkurs mit Zertifikat oder ohne Zertifikat oder mit ersetzendem Eigenzertifikat mal so und mal so steuerlich behandelt wird. Es war doch ein betragsmäßiger Deckel (600 EUR) drin. Aber Reichs-Erlass-Behörde in Berlin kann es natürlich nicht so einfach zulassen, dass ihr der Gesetzgeber ins Handwerk pfuscht. 

Betriebsveranstaltungen

Wo fängt man da an? Als Bindungsmaßnahme wäre sie in Zeiten des Fachkräftemangels notwendiger als je zuvor. Das überwiegend betriebliche Interesse daran ist im BMF aber nicht vermittelbar. Inflationsbereinigt und auch mit Blick auf typischerweise anfallende Kosten müssten heutzutage längst zwei Veranstaltungen á 300 EUR überwiegend betrieblich sein. Stattdessen sollen hier Fake-Steuern anfallen, selbst wenn keiner zur Veranstaltung kommt. Begrünung: „Die Steuern zahlt doch eh der Arbeitgeber“. Ja und wenn er die nicht rechtzeitig zahlt, dann kommen noch Fake-Sozialabgaben oben drauf.

Ich weiß doch auch nicht, warum in der Firma alle so schlecht drauf sind. Vermutlich weil die Betriebsfeste jedes Jahr kleiner ausfallen. Aber dass muss den Beamten im Ministerium, welcher sich dieses blödsinnige Gesetz ausgedacht hat, um ein paar gute BFH-Urteile ignorieren zu können, den muss das nicht mehr verunsichern. Der geht vermutlich demnächst sowieso nur noch zum Pensionärstreffen.

Die Liste der systemwidrigen und unpraktikablen Vorschriften ließe sich ewig fortsetzen! Das Massenverfahren „Lohnsteuerabzug“ ist zum Wachstumshemmnis geworden. Was notwendig wäre zur Personalbindung, ist nicht umsetzbar. Also machen wir das mit dem Obstkorb und den Tankgutscheinen.

Das wird teu(r)er

Was bedeutet das für die Arbeitgeber in diesem Land, liebe Verbände? Abbauprogramme werden massiv teurer. Der Mitarbeiter guckt nämlich darauf, was netto rauskommt. Durch Verschiebung in den Januar des Folgejahres und der Steuerklasse 3 war das bei vielen Abgefundenen nicht mehr so viel, was an Steuern abging. Jetzt ist es erstmal immer fast die Hälfte, was an Steuern weggeht. Und es sind ja nicht nur Abfindungsprogramme betroffen – es sind ja auch alle mehrjährigen Vergütungen betroffen.

Hier noch ein paar Zahlen, was das so ausmachen kann – grobe Schätzung:

AbfindungssummeStKl III mit FünftelungStKl III ohne FünftelungDarlehen für den Fiskus
100.000 €0 €ca. 20.000 €20.000 €
150.000 €ca. 7.500 €ca. 40.000 €32.500 €
200.000 €ca. 20.000 €ca. 57.000 €37.000 €
250.000 €ca. 33.000 €ca. 86.000 €53.000 €
300.000 €ca. 50.000 €ca. 105.000 €55.000 €
350.000 €ca. 63.000 €ca. 135.000 €72.000 €
400.000 €ca. 80.000 €ca. 160.000 €80.000 €

Streit ist vorprogrammiert

Was bedeutet das für die Finanzämter in diesem Land, liebe Lohnsteuerreferatsleiter in den Bundesländern? §34 muss „beantragt“ werden. Früher war mit einem sauberen Datenabzug der Drops gelutscht – der Arbeitgeber hatte sich die Prüfarbeit ja schon getan. Jetzt müsst ihr selber prüfen. Und zwar richtig.

Und wo euch bisher schon der A… auf Grundeis ging, weil die Steuererstattung fünfstellig war, da ist die Steuererstattung dann demnächst sechsstellig. Und weil das ja nicht sein kann, fangt ihr an Belege für jeden Teebeutel anzufordern und wahllos irgendwelche Sachen aus der Erklärung rauszustreichen. Ich höre euch schon zu den Kollegen ins Nachbarzimmer rufen: „…100.000 EUR Erstattung, dass kann doch nicht sein! Bei mir waren es dieses Jahr doch auch nur 600 EUR…“.

Und selbst dann wird der Erstattungsbetrag bei einer normalen Abfindung, bei welcher der Steuerpflichtige ein paar Optimierungsmaßnahmen umgesetzt hat, noch sechsstellig sein. Jedenfalls, wenn er das Geld für die Optimierungsmaßnahmen noch zusammenkratzen kann. Falls nicht, dann kann der Steuerpflichtige halt kein Unternehmen gründen oder seine Vermietungsobjekten durchrenovieren. Aber wer braucht in Deutschland schon Unternehmer oder renovierten Mietraum, Gott bewahre – womöglich bauen die da noch eine Wärmepumpe ein – dann doch lieber das Zwangs-Darlehen an den Fiskus. Warum ist sind die auch nicht einfach Beamter geworden? Selber Schuld!

Die Finanzämter jedenfalls werden ewig und drei Tage auf den Steuererklärungen hocken und ohne Untätigkeitseinspruch wird nichts mehr gehen. Ich prophezeie, dass künftig kaum ein Abfindungsfall ohne Einspruch beim Finanzamt durchlaufen wird. Bürokratieabbau, wie nur Deutschland oder die FDP ihn kann. Bravo!

Fazit:

Alle haben mehr Arbeit. Überall gibt es Probleme und Streit. Nur in einem Berliner Ministerium schaut ein Reichsbürger kurz vor seiner Pensionierung aus dem Fenster, freut sich zufrieden über sein Werk und überlegt sich, wo der Benzinkanister steht, damit er auch beim nächsten Jahressteuergesetz noch etwas Brandbeschleuniger nachkippen kann.

Auch wenn die Fünftelungsregelung im Lohnsteuerabzug tot ist, so lebt sie doch in der Einkommensteuererklärung. Für die Beurteilung, welche Gestaltungsmaßnahmen Sinn machen, sollte man einen Spezialist für dieses Thema hinzuziehen. Mit dem kann man dann dem absehbaren Streit mit dem Finanzamt auch direkt entgegenwirken.

Übersicht aller Beiträge aus der Reihe „Steuern sparen bei Abfindung“