Die andere „Kalte Progression“ /
Über die schleichende Entwertung von steuerlichen Grenzwerten

Über die Kalte Progression ist in der letzten Zeit viel geschrieben wurden. Gemeint ist der Umstand, dass man bei gleicher Kaufkraft des Einkommens – also bei einer jährlichen Erhöhung des Einkommens i.H.d. Inflationsrate – automatisch in eine höhere Progressionsstufe rutscht. Theoretisch muss also die Gesamtheit der Steuerpflichtigen irgendwann den Spitzensteuersatz zahlen, wenn die Politik die Tarifeckwerte nicht regelmäßig anpasst. Unpopuläre Steuererhöhungen brauchen von der Politik daher nicht beschlossen werden, sondern sie kommen über die Inflation von ganz alleine.

Dasselbe Prinzip wirkt jedenfalls – bislang ohne große Beachtung in Presse und Fachliteratur – auch auf steuerliche Grenzwerte, z.B. die Entfernungspauschale, die jetzt auf 0,35 EUR angehoben werden soll, um das Klima zu retten. Satire vs. Realpolitik, erkennt noch jemand den Unterschied – jedenfalls hatte man 1967 noch eine Absenkung aus „verkehrspolitischen Erwägungen“ unternommen. Seitdem scheinen sich die Naturgesetze umgekehrt zu haben. Seisdrum.

Die sog. Entfernungspauschale (z. Zt. 0,30 € je Entfernungs-Kilometer – § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG) bestimmt bekanntermaßen den Umfang der als Werbungskosten / Betriebsausgaben abzugsfähigen Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte. Mit einer ähnlichen Pauschale kann man auch die Werbungskosten / Betriebsausgaben für Fahrten während einer Auswärtstätigkeit (Geschäfts- / Dienstreise) ansetzen (0,30 € je gefahrenem Kilometer). Letztere soll wohl nicht erhöht werden.

Die Entfernungspauschale in ihrer derzeitigen Höhe gilt seit 2004 (sog. Subventionsabbau nach Koch/Steinbrück. Zuvor konnte man ab 2001 jeweils 0,36 EUR für die ersten zehn und 0,40 EUR für alle weiteren geltend machen. Im Jahr 1992/1993 gab es jedenfalls noch 0,65 DM, ab 1994 dann sogar 0,70 DM, die dann 2001 in 0,36 EUR umgerechnet worden.

Man sieht auf den ersten Blick: erhöht wird hier garnichts, sondern man bleibt noch unter dem Niveau von 1994. Nehmen wir uns ergänzend einen Preisindex und „inflationieren“ wir den 1994er Preis mal in die Neuzeit, dann sieht es sogar noch extremer aus. Motorenbenzin kostete danach 1994 im Großhandel 60,50 EUR je hl. Im Jahr 2019 muss man dafür 106,05 EUR bezahlen. Die 0,36 EUR von damals wären folglich im heutigen Kaufkraftäquivalent 0,63 EUR.

Die Kalte Progression schlägt also zweimal zu und Steuern für Arbeitnehmer werden mithin gleich doppelt erhöht. Die Entfernungspauschale wurde über die Jahre faktisch halbiert und auch die jüngste Erhöhung kann daran nichts ändern.

Die nächsten Tage schaue ich mir noch ein paar andere lohnsteuerliche Freibeträge an (z.B. WK-Pauschbetrag) und packe noch ein paar Diagramme und Tabellen bei.